Während vieler Jahrzehnte war es für Brücke Le Pont eine Herzensangelegenheit: das Landesprogramm Brasilien. Durch die Projekte vor Ort haben unzählige Menschen die Tür für ein würdiges Leben dank fairer Arbeitsbedingungen aufgestossen.

Nun steigt Brücke Le Pont aus Brasilien aus. Nicht freiwillig, wie Franziska Theiler im Interview sagt. Seit 15 Jahren leitet sie die Geschäftsstelle in Fribourg. Es seien vor allem politische Entwicklungen und der Spardruck in der Schweiz gewesen, welche den Ausstieg vorgespurt hätten, erklärt sie. Und doch: Dank des nachhaltigen Ansatzes von Brücke Le Pont wird vieles bleiben, was erreicht wurde, sowie weiter Neues entstehen.

Im vergangenen Sommer haben wir unser Magazin zu fairer Arbeit dem Ausstieg aus Brasilien gewidmet. Damals hast du diesen Entscheid als schmerzhaft bezeichnet.

Das würde ich wieder tun. Ein Landesprogramm aufzugeben, das so gut funktioniert, tut einfach weh. 50 Jahre waren wir in Brasilien aktiv und haben sehr viel erreicht. Das bedeutet: Arbeitsplätze, die den lokalen Bedürfnissen entsprechen, geschaffen. Ausbildungen ermöglicht, rechtliche Rahmenbedingungen verbessert, moderne Sklaverei bekämpft. Kurz: Mit den Menschen vor Ort zusammengearbeitet, sodass diese letztlich einer fairen Arbeit nachgehen können. Denn wir sind davon überzeugt, dass dies die Grundvoraussetzung ist für ein Leben in Würde.

Der Ausstieg ist nicht freiwillig erfolgt, sondern steht in direktem Zusammenhang mit der Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA) der Schweiz.

Richtig. Seit 2021 fährt die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) die bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika zurück. Nun, per Ende Jahr, wird diese ganz eingestellt.

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«Unser Anspruch ist immer, dass unsere Arbeit nachhaltige Wirkung erzielt», sagt Franziska Theiler im Gespräch.

Wieso ist die IZA-Strategie für Brücke Le Pont so relevant?

Weil daraus hervorgeht, wie hoch der Betrag ist, der in die Programme von NGOs fliesst. Indem der Bund diese Beiträge spricht, nimmt er seinen Verfassungsauftrag wahr – Entwicklungszusammenarbeit ist also demokratisch legitimiert. Im Jahr 2023 machte dieser sogenannte Deza-Kernbeitrag jeden dritten Franken der Einnahmen von Brücke Le Pont aus. Bei vielen NGOs bewegt sich der Anteil in dieser Grössenordnung. Klar ist: Was in Bundesbern passiert, betrifft uns direkt. Und somit die Menschen im Globalen Süden, mit welchen wir jeden Tag zusammenarbeiten.

Zurück zu Brasilien. Ein Ausstieg bedeutet nicht, dass alles umsonst war.

Im Gegenteil! Unser Anspruch ist immer, dass unsere Arbeit nachhaltige Wirkung erzielt und lokal verankert ist. In all unseren Programmländern.

Man nennt diesen Ansatz Lokalisierung. Kannst du dazu etwas ausführen?

Dies bedeutet vor allem, dass wir nachhaltige und lokale Strukturen fördern – Lokalisierung eben. Es geht darum, Abhängigkeiten abzubauen beziehungsweise erst gar nicht entstehen zu lassen. Der Kerngedanke ist: Der Fortschritt, den wir zusammen mit unseren Partner*innen vor Ort erzielen, muss sich fortsetzen, wenn Brücke Le Pont aus dem Land ausgestiegen ist. Lokalisierung heisst auch, dass die Partner*innen vor Ort die Richtung der Projekte zusammen mit den Projekt*teilnehmenden vorgeben und wir sie mit dem Blick von aussen begleiten. Die Menschen vor Ort kennen ihr Land, ihre Kultur, die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen besser als wir. Passendes Beispiel dazu ist unsere lokale Koordinatorin in Brasilien, welche sehr viele Kompetenzen mitbringt. Wir sind keine «white saviours», keine weissen Retter*innen. Diese Rolle hat in einer professionellen Entwicklungszusammenarbeit keinen Platz. Wir arbeiten auf Augenhöhe.

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Die prämierte Lernapp funktioniert ohne Internet.

Wie hat sich unsere Arbeit unter diesem spezifischen Aspekt in Brasilien ausgewirkt?

Allgemein betrachtet überaus gut. Das zeigt auch eine Kapitalisierungsstudie, die wir durchgeführt haben. Wir haben mit sehr lernfähigen Organisationen zusammengearbeitet. Das war über die Jahre fruchtbar. Ich nenne ein Beispiel: Aus der Not haben wir während der Coronapandemie eine Lernapp entwickelt, die auch ohne Internet funktioniert. Die UNO hat die verantwortliche Partnerorganisation dafür sogar mit einem Innovationspreis ausgezeichnet, heute ist die App fester Bestandteil des Unterrichts. Auch auf struktureller Ebene ist einiges passiert. Viele unserer Partner*innen haben beispielsweise sehr effizient mit staatlichen Behörden verhandelt und die Relevanz unserer Landesprogramms unterstrichen. Unser Fokus auf Bildung kam in Regierungskreisen gut an. Dank Professionalität und Verhandlungsgeschick konnten sich unsere Partner*innen vor Ort dadurch die Weiterfinanzierung ihrer Projekte durch staatliche Institutionen oder andere Geldgeber sichern.

Verhandlungsgeschick war aber auch im lokalen Kontext gefragt.

Ja. Unsere Ausbildungsprogramme erlangten schnell Bekanntheitsgrad. Betriebe wollten unsere Projektteilnehmer*innen abwerben, bevor diese ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Das war für die Jugendlichen natürlich attraktiv, immerhin stand schnelles Geld in Aussicht. Wir haben es aber in der Regel geschafft, unsere Projektteilnehmer*innen dahingehend zu sensibilisieren, die Ausbildung abzuschliessen und dass die Betriebe die Lernenden nicht mehr abwarben. Das darf nicht unterschätzt werden – immerhin sind die Menschen, die an unseren Projekten teilnehmen, stark von Armut betroffen.

Was auch mit der Projektregion von Brücke Le Pont zusammenhängt. Seit 2010 liegt der Fokus auf dem Bundesstaat Piauí. Eine der ärmsten Regionen des Landes.

Das ist so. Und es zeigt auch: Die Armut ist in Brasilien längstens nicht besiegt. Das Gefälle zwischen den sozioökonomischen Schichten ist nach wie vor gross. Vor allem in der semiariden Region im Nordosten, wo eben auch Piauí liegt.

Das bedeutet: Brücke Le Pont hat zwar vieles bewegt, hätte aber gleichzeitig noch mehr erreichen wollen?

Genau. In den kommenden Jahren hätten wir vor allem Skalierungseffekte erzielen wollen. Damit meine ich: Mehr Menschen an unseren Projekten teilhaben zu lassen. Vereinzelt haben wir dies bereits gut geschafft. So haben wir zusammen mit unseren Partner*innen beispielsweise ein Gütesiegel etabliert, das Arbeitgeber*innen durch würdige Arbeitsplätze auszeichnet. Solche Erfolge schlagen Wellen.

16 Spendenaufruf Socopo

Sie sind es, um die es bei der Entwicklungszusammenarbeit letztlich geht: Menschen aus dem Globalen Süden. Im Bild eine Teilnehmerin des Projekts Socopo von Brücke Le Pont in Brasilien.

Zum Schluss: Welche Geschichte hast du vor Augen, wenn du an unsere Zeit in Brasilien denkst?

Ich habe vor vielen Jahren in Brasilien Francesco, ein ehemaliges Opfer der modernen Sklaverei, kennengelernt. Seine Geschichte: Er war in Armut gefangen und wurde mit falschen Versprechen zur Arbeit auf dem Feld genötigt, ohne dafür entlohnt zu werden. Dieser Missstand wurde gedeckt von den lokalen Behörden. Er wurde schlicht ausgebeutet. Wir haben es zusammen mit unserer lokalen Partnerorganisation geschafft Francesco aus diesen Abhängigkeiten zu befreien und ihm Arbeit zu würdigen Bedingungen zu beschaffen. Das ist letztlich der Grund, weshalb wir hier sind: Faire Arbeit zu ermöglichen, welche die Tür für ein Leben in Würde aufstösst. Manchmal wünsche ich mir, dass wir uns in unserer Gesellschaft mehr in Erinnerungen rufen, dass es in der Entwicklungszusammenarbeit letztlich darum geht: um Perspektiven, um Lebensentwürfe. Um Menschen.